Es ist Anfang August 2014 und der 6. Tag von geplanten 11 Wertungstagen der Deutschen Segelflug Meisterschaft der Frauen in Stölln / Brandenburg. Mit 2 Vorbereitungstagen und einem abschließenden Tag nach dem Ende der Wertung sind für diesen Wettbewerb insgesamt 14 Tagen vorgesehen. Gastgeber ist der 1990 gegründete Flugsportverein Otto Lilienthal Stölln / Rhinow E.V., der in Stölln den Flugplatz übernommen hat, auf dessen Grund Otto Lilienthal 1894 seine ersten Flugversuche unternommen hatte und der nun als der älteste Flugplatz der Welt gilt.

Insgesamt 40 Pilotinnen, die sich in den Vorentscheidungen für diese Meisterschaft qualifiziert haben, sind mit ihren Teams angereist und haben sich in den ersten beiden Tagen in Trainingsflügen mit den Gegebenheiten am Flugplatz und der näheren Umgebung bekannt gemacht. An den nachfolgenden drei Tagen, die als Wertungstage geplant waren, spielte das Wetter jedoch nicht mit und die Teilnehmer in allen drei Wettbewerbsklassen wurden neutralisiert. Tag 4 und Tag 5 der Wertung waren dann Tage mit gutem Flugwetter und für die Rennklasse, in der mein Ventus- 2b gewertet wird, waren Dreieckskurse mit Streckenlängen von 451,7 und 513,9 km als Tagesaufgabe vorgegeben worden. Mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von 100,55 km/h am 4. Wertungstag und 92,46 km/h am 5. Wertungstag hatte ich unter den 8 Teilnehmerinnen in der Rennklasse den 3. und den 5. Tagesplatz belegt. Damit wurden meine Zielvorstellungen für die beiden Wertungstage zwar nicht erfüllt, aber noch liegen 6 weitere Wertungstage vor mir, die ich mit unverändert hohen Erwartungen verbinde.

Ventus-2b im EndanflugJetzt warte ich darauf von einer der fünf Wilgas in die Luft gebracht zu werden. Noch halte ich die Haube meines Ventus-2b geöffnet, und einer meiner Helfer sitzt neben meiner Maschine im Gras. Er wird bis zu meinem Start in meiner Nähe bleiben, mir beim Start helfen und dann über Funk und mit den Durchsagen der Wettbewerbsleitung meinen Flug verfolgen. Sollte mein Flug vor Stölln und nicht auf einem Flugplatz enden, dann wird er mit dem Transportwagen kommen und meinen Ventus und mich abholen. Um mich herum stehen die Flugzeuge der anderen 7 Teilnehmerinnen der Rennklasse. Es sind zwei weitere Ventus - 2, drei ASG 29, eine ASW 27 sowie eine LS 6. Davor stehen fünf LS 8 und ein Discus 2 b, die in der Standardklasse starten. Alle diese Flugzeuge haben Wölbklappen, durch die das Tragflächenprofil im Flug verändert und an die Erfordernisse der Flugsituation angepaßt werden kann. Das wirkt sich sowohl beim Kurbeln in enger Thermik als auch beim Schnellflug aus. Vor den Flugzeugen der Standard und der Rennklasse steht das große Feld der Clubklasse. Insgesamt sind 26 Flugzeuge in der Clubklasse am Start. Beim Rundgang am Beginn des Wettbewerbs sah ich viele LS 1 und LS 4, mehrere Libellen, ASW 19 und ASW 24, Hornet und Standard Cirrus. Auch meine LS 1 f befindet sich darunter, mit der ich 2012 die Deutsche Segelflugmeisterschaft der Frauen in der Clubklasse gewann.

Während wir warten, den Betrieb vor uns beobachten und die Funkdurchsagen der Wettbewerbsleitung hören, tauchen die zurückliegenden Stunden der Vorbereitung für den heutigen Flug wieder in meiner Erinnerung auf. Am Morgen und noch vor dem Frühstück hatte ich wie üblich bei einem Wettbewerb die Vorhersagen verschiedener Wetterdienste im Internet gelesen und eine erste Analyse der Wetterlage vorgenommen. Im späteren Verlauf des Tages sollte sich eine Warmfront von Westen her dem Wettbewerbsgebiet nähern. Das bedeutete große Wolkenfelder, die der Warmfront vorausgehen, die Sonneneinstrahlung vermindern und die Thermik schwächen. Bei diesen Aussichten war also ein früher Abflug ratsam.

Nach dem Frühstück hatte ich mit meinen Leuten mein Flugzeug aufgerüstet. Obwohl es zu dieser Zeit noch unklar war, wie sich das Wetter entwickeln würde, hatte ich 140 Liter Wasserballast getankt. Mit diesem Zusatzgewicht kann ich die Flugeigenschaften meines Flugzeugs im Schnellflug deutlich verbessern. Bei schwacher Thermik ist das jedoch keine gute Entscheidung. Aber ich kann das Wasser noch vor dem Start oder im Flug wieder ablassen. Den Rumpf-Flügel-Übergang an meinem Ventus hatten wir sorgfältig abgeklebt, die Mücken-Putzanlage getestet, die in der Nacht nachgeladenen Batterien zur Bordnetzversorgung eingebaut und den Bordcomputer sowie den elektronischen Datenschreiber, der die Wegdaten des GPS aufzeichnet, überprüft. Dann hatte ich meinen Flieger zusammen mit meinen Helfern zum Startplatz geschoben. Die Startreihenfolge, die für jeden Wettbewerbstag rotiert, lag fest. Wir hatten meinen Ventus an dem für mich an diesem Tag vorgesehen Platz in der vorletzten Reihe der Rennklasse gestellt. Dieser hintere Platz war zwar nicht optimal bei den erwarteten Wetteraussichten, aber hinzunehmen.

Zum angesetzten Tagesbriefing um 10 Uhr waren auch meine Helfer mitgegangen. Auch viele andere Teilnehmer kamen mit ihren Teams. Die meisten Teilnehmer kennen sich schon seit Jahren und die Begrüßung untereinander ist immer herzlich. Dann begann das Briefing. Der Meteorologe für den Wettbewerb hatte die Wetterlage erklärt und eine Einschätzung der weiteren Entwicklung abgegeben. Zwar waren die guten Wetterbedingungen der beiden vergangenen Wertungstage vorüber, aber die Aussichten für den heutigen Tag erschienen zu dieser Zeit noch befriedigend. Entsprechend waren die Tagesaufgaben gegenüber den beiden Vortagen verkleinert worden. Für die Rennklasse sah die Aufgabe eine Strecke mit einer Gesamtlänge von 320 km über 3 Wendepunkte vor. Die Startbereitschaft war auf späte 12 Uhr angesetzt worden.

Nach dem Briefing war ich zusammen mit den anderen Teilnehmern wieder zu den Flugzeugen gegangen. Auch ich hatte meinen Bordcomputer und meinen elektronischen Datenschreiber mit den Daten der Tagesaufgabe gefüttert, die ich noch im Briefingraum auf meinen PC geladen hatte. Kurz nach 12 Uhr war die Startbereitschaft dann auf 12.15 Uhr weiter verschoben worden. Um 12.15 Uhr hatten 2 Wilgas ihre Triebwerke angelassen und einige Flugzeuge der Clubklasse zur Erprobung der Aufwindverhältnisse in die Luft geschleppt. Aber die Piloten hatten nur schwache Steigwerte mit einer zu niedrigen Basis von 650 m gemeldet. Das war zu wenig für die gestellte Aufgabe. Die Wilgas machten erst mal Pause. Allmählich hatten sich dann die Wetterverhältnisse etwas gebessert, aber die noch mögliche Flugzeit des Tages wurde immer kürzer. Schließlich hatte der Sportleiter in einem Feldbriefing eine neue Aufgabe für die Rennklasse mit einer auf 245 km verkürzten Strecke über ebenfalls 3 Wendepunkte bekannt gegeben. Auch die Daten der neuen Aufgabe hatte ich in meine Bordgeräte eingespeist. Dann hatten sich die Wilgas wieder in Bewegung gesetzt, die Flugzeuge der Clubklasse in die Luft gebracht und den Schlepp der Standard- und der Rennklasse begonnen.

Nun beendet das volltonige Dröhnen der 9-Zylinder Sternmotoren der Wilgas, von denen Piloten sagen, dass sie ihre aerodynamischen Unzulänglichkeiten mit schierer Motorleistung ausgleichen, meine Gedanken an die Vorbereitungen dieses Fluges. Nacheinander rollen die Wilgas von der Seite vor das Feld der aufgestellten Flugzeuge, das Schleppseil wird am nächsten Flugzeug im Feld eingeklinkt, der Helfer geht zur Fläche und nimmt sie nach dem Handzeichen seiner Pilotin auf, eine kurze Verständigung zwischen dem Piloten der Wilga und der Pilotin des angehängten Flugzeugs, dann setzt sich der Schleppzug in Bewegung und die nächste der zurückkehrenden Wilgas rollt vor das Feld der Flugzeuge. Inzwischen habe ich die Haube meines Ventus geschlossen und eine letzte Überprüfung meiner Startklarheit vorgenommen. Dann, als Vorletzte, hänge auch ich mit meinem durch Ballastwasser in den Tragflächen befüllten Ventus-2b an einer Wilga und gebe das Zeichen zum Start.

Wettbewerbsfeld vor dem Start in Stölln / RhinowLange rollt mein Ventus über die Grasbahn bis er endlich fliegt und der Schleppzug an Höhe gewinnt. In der vereinbarten Höhe klinke ich beim Durchflug eines Gebietes mit leichtem Steigen aus, dann prüfe ich die Anzeigen meiner Instrumente. Der Bordcomputer ist im Schlepp ausgefallen. Ich schalte ihn versuchsweise wieder ein, er reagiert zwar, aber das akustische Variometer fehlt, das integrierte Steigen und der Gleitpfad werden nicht errechnet. Die mechanischen Instrumente funktionieren dagegen vollständig. Was tun? Nochmals landen, den Fehler suchen und erneut starten würde unkalkulierbar viel Zeit verbrauchen und meine Chancen für den Tag angesichts der vorhersehbaren Wetterentwicklung gegen Null gehen lassen. Das Startfenster für die Standard- und die Rennklasse wird bald geöffnet werden. Es bleibt keine Zeit für eine Landung und einen Neustart. Also entscheide ich mich für die Fortsetzung des Fluges und beginne damit meine Höhe und Position im Hinblick auf die Öffnung des Startfensters zu verbessern. Um 14:12 Uhr, bevor ich eine optimale Abflugposition erreicht habe, erfolgt die Abflugfreigabe für die Standard- und die Rennklasse.

Einige Flugzeuge überfliegen ohne Verzögerung die Abfluglinie. Mir bleibt keine andere Wahl und auch ich überfliege die Abfluglinie. Da mir wesentliche Funktionen im Bordcomputer fehlen, um die Aufwinde zu analysieren, fliege ich vorsichtiger. Nicht ganz so schnell zwischen den Aufwinden und auch nicht so tief hinunter, um leichter erneuten Anschluss an Thermik zu gewinnen. Deutlich weniger schnell als an den Vortagen komme ich voran. Schließlich bessert sich die Wettersituation und ich kann die Vorteile meiner Wasserlast voll nutzen. Aber auch beim Ansatz zum Endanflug fehlt mir die Computeranzeige, die mir die Höhe angibt, die ich brauche um bis zur Ziellinie in Stölln mit ausreichender Resthöhe gleiten zu können. Meine Abschätzung erfolgt nur näherungsweise und ich muss wegen der Rechenungenauigkeit zusätzliche Sicherheit einplanen, den erforderlichen Aufwind finden und die Höhe erkurbeln. Aber schließlich ist es geschafft und ich kann es mir auf den letzten Kilometern erlauben, die Fahrt wesentlich zu erhöhen. Noch bevor ich die Ziellinie überfliege öffne ich die beiden Hähne für den Wasserballast und lande dann mit leeren Tanks.

Um 17.05 Uhr meldet die Wettbewerbsdurchsage meine Landung. Ich habe 2 Std. 41 Min für den Flug gebraucht und eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 88,18 km/h erreicht. Und trotz des teilweisen Bordcomputerausfalls hat es an diesem Tag noch für den 3. Platz in der Rennklasse gereicht hat. Aber das erfahre ich erst später an diesem Tage. Als ich das erfuhr, da hatte ich auch schon die Ursache für den Computerausfall gefunden und behoben: Es war eine Sicherung, die versagt hatte.

Nun ja, nicht jeder Tag ist ein Tag ungetrübter Freude. Aber es bleiben ja immer noch 5 weitere Wertungstage. Dennoch, es hat mal wieder Spaß gemacht. Noch lasse ich meine Erwartungen nicht sinken.

Nachbemerkung des SFC Riedelbach:

Nur an einem der nach diesem Flug noch geplanten 5 Wertungstage herrschte Flugwetter im Wettbewerbsgebiet. Am Ende erreichte Sandra Malzacher den 2. Gesamtplatz in der Rennklasse und qualifizierte sich damit sowohl für die Nationalmannschaft der Frauen als auch für die nächste Weltmeisterschaft der Frauen.